XXL-Lösung für die Migros City Zürich

Manuel Huber & Sarina Walser, Sven Albisser, Leon Affolter, 3 Min. Lesezeit
XXL-Lösung für die Migros City Zürich

Blerim weiss, wie’s läuft. Zwei Mal wöchentlich führt seine Tour zur Migros City Zürich an der Löwenstrasse, einen Katzensprung vom Hauptbahnhof entfernt. Mehr City geht nicht. Er setzt den Blinker, wartet, lässt Passanten und Velos den Vortritt. Links die Einfahrt ins «normale» Parkhaus, rechts ein Tor mit Halteverbot. Blerims Ziel. Langsam gleitet das Tor auf. Dahinter keine Laderampe, sondern ein Lastenaufzug so gross wie sein Sattelschlepper. Fast 18 Meter lang, vier Meter breit und fünf Meter hoch. Mit einer Nutzlast von 26 Tonnen. Konzipiert für einen gelenkten Sattelschlepper oder – wie die Plakette im Aufzug verrät – für 346 Personen. Blerim schleicht geradezu in den Lift. Aus gutem Grund, erklärt AS Servicetechniker Felice Marzano: «Die Liftkabine wird zwar durch ein Seilgerüst stabilisiert. Wenn der tonnenschwere LKW aber zu schnell hineinfährt, kippt die Liftkabine nach vorne ab und der Lift blockiert aus

Sicherheitsgründen. Zu schnelle Manöver sind daher nicht empfehlenswert.» Also Schritttempo, bis die Schnauze des Sattelschleppers die vordere Lifttür fast berührt. Zwei Meter ab Liftboden befindet sich ein schwarzer Knopf, den Blerim drückt. Die Kabine vibriert abwärts. 37 Sekunden lang. Fast 14 Meter tief in den Bauch der Migros City. Es riecht nach Öl und Diesel.

Gigant mit neuem Innenleben

Geplant und gebaut wurde dieser LKW-Aufzug im Jahr 1983 von der Gebauer AG, eine der vier Gründerfirmen von AS Aufzüge. Felice Marzano arbeitete ursprünglich bei Gebauer und ist daher mit älteren Spezialanlagen vertraut. «Hier waren früher Relaissteuerungen eingebaut», erklärt der 58-Jährige im Technikraum und sucht in den alten Unterlagen nach Fakten über den 40-jährigen Giganten. «Kabinengewicht mit Rahmen – 23 Tonnen. Wahnsinn», kommentiert er und findet im Serviceheft die Infos zur Modernisierung 2014, als die Migros City totalsaniert wurde. «AS hat damals das komplette Innenleben des Lifts erneuert. Steuerung, Hydraulik, Lichtschranken und vieles mehr. Solche Spezialanlagen zu modernisieren und zu warten ist eine Freude, bedingt aber viel Fachwissen. Das haben wir bei AS», sagt Felice Marzano stolz. Eine weitere beindruckende Zahl findet sich auf der neuen Steuerung: Seit 2014 fuhr der LKW-Lift 271'642 mal hoch und runter. Das entspricht über 500 Fahrten pro Woche. Der Lift ist nur für den Warenumschlag der Migros in diesem Einkaufszentrum reserviert: Für Migros Food und Non-Food, Migros Restaurant und Take Away, Micasa und SportX. Wann LKWs kommen und gehen, zeigt ein Bildschirm bei den Laderampen. Der erste LKW lieferte heute um 04.15 Uhr, der neunte und letzte LKW holt um 19.20 Uhr Leergut ab. Blerim fährt mit dem siebten Sattelschlepper des Tages in die Tiefe.

Drehbare Plattform

Unten angekommen, wieder Spektakel. Denn auch hier wird der knappe Raum optimal genutzt. Blerim ruckelt mit seinem Sattelschlepper aus der Liftkabine in eine Halle mit drehbarer Plattform. Durchmesser rund 20 Meter. Darauf dreht sich der Lastwagen im Gegenuhrzeigersinn, damit Blerim rückwärts an Laderampe 2 andocken kann. Wieder geht es um Zentimeter. Er koppelt den Anhänger ab und steuert das Zugfahrzeug zum Anhänger mit Leergut an Rampe 3. Wenige Minuten später steht er mit seinem Sattelschlepper wieder auf der Plattform und lässt sich von ihr so ausrichten, damit er vorwärts in den Lift fahren kann. Währenddessen bereiten die beiden Servicetechniker Felice Marzano und Manuel Quadranti alles für den grossen Service am LKW-Lift vor, der heute ansteht. Zwei Mal im Jahr wird hier alles genau geprüft. Für Manuel Quadranti ist heute ein spezieller Tag, wie er sagt: «Ich habe hier schon öfters einen Service durchgeführt, aber noch nie den grossen Service. Das ist eine schöne Abwechslung zu kleinen Anlagen.»

Aus technischer Sicht unterscheidet sich der gigantische LKW-Lift kaum von anderen hydraulischen Lastenaufzügen. Und doch ist es ein spezieller Lift. Alles ist XXL. Hydraulik, Puffer, Umlenkrollen. «Die Dimensionen sind eindrücklich und respekteinflössend», sagt Manuel Quadranti beim Anziehen der Absturzsicherung. Helm, Schutzbrille und Handschuhe trägt er bereits und macht sich bald auf den Weg in die Liftgrube, die etwa zwei Meter tief in den Boden reicht. Um dorthin zu gelangen, muss man zunächst die Leiter in der Liftkabine hinaufsteigen. Anschliessend führt eine weitere Leiter an der Wand des Liftschachts hinunter in die Grube. Felice Marzano zeigt unterdessen auf Ketten, Kolben und Kanister für überschüssiges Öl. Der grosse Service beinhaltet auch das Prüfen von Ölstand und Öldruck, aller elektrischer Kontakte oder des Notrufs. «Viel Zeit benötigt zudem die Pflege der Türen», ergänzt Felice Marzano, den Blick auf die hohen Lichtschranken gerichtet.


Aufwärts in 61 Sekunden

Der Service der beeindruckenden Mechanik muss noch kurz warten. Blerim hat Vortritt. Sein Sattelschlepper dreht sich bereits wieder auf der Plattform. Erneut im Gegenuhrzeigersinn, damit er vorwärts in den Lift fahren kann. «Ganz gerade kommt man nie rein», sagt Blerim mit aufgestütztem Ellbogen auf dem offenen Fenster und Blick zum hintersten Rad. Gekonnt zirkelt er in den Lift. Zwischen Seitenspiegel und Kabinenwand passt mit etwas Glück eine Packung Chips. Lifttür geschlossen, Knopf gedrückt. Es geht aufwärts – mit 0,24 Meter pro Sekunde. Der massgefertigte LKW-Lift spielt seine ganze Stärke aus und presst den Sattelschlepper in 61 Sekunden zurück ans Tageslicht. Blerim winkt zum Abschied und fädelt in den dichten Verkehr in Richtung Migros Herdern ein. Felice Marzano und Manuel Quadranti nutzen die LKW-Pause für den grossen Service. Sie wissen, wie’s läuft.